TschebetschexTschellentsch
jonglieren.at: Spielen...: ... um des Spielens willen: TschebetschexTschellentsch

Wolfgang Schebeczek

aus: Kaskade - Europäische Jonglierzeitschrift No. 39 (Herbst 1995), pp 32-33



Du willst beim Jonglieren auch deine Beine beschäftigen, findest aber Joggling1 zu eintönig und Combat2 zu martialisch? Dann probier doch mal: TschebetschexTschellentsch. Es handelt sich dabei um ein Mannschaftsspiel, das im letzten Jahr3 im Wiener Universitätssport-Institut erfunden wurde. Besser gesagt, das sich dort urwüchsig entwickelt hat. Eine Kombination aus Fußballspiel und Jonglieren, bei der es gilt, Auge, Hand, Fuß und Zunge zu koordinieren.

Die Regeln? Drei Bälle jonglierend Fußball spielen, oder Fußball spielend drei Bälle jonglieren. Das ist es eigentlich schon. Zwei Vereinbarungen haben sich als nützlich herausgestellt:
1) Beendet der/die Ballführende (Kriterium: letzte Ballberührung) per Drop oder anderswie seine/ihre Jonglage, muss er/sie sich vom Ball zurückziehen und ihn SpielerInnen der eigenen oder gegnerischen Mannschaft überlassen. (Mit Ball ist hier und auch im folgenden natürlich der Fußball gemeint.)
2) Ein Tor wird nur anerkannt, wenn der/die SchützIn nach dem Schuss weiterjongliert. Für die Defensive gibt es keine Vorschriften. Das heißt zwar, dass man bei der Abwehr theoretisch gar nicht jonglieren bräuchte, was natürlich nicht Sinn der Sache ist. Aber wer will schon darüber urteilen, ob jemand absichtlich einen Schuss pariert und dabei dropt oder ob ihm die Jonglierbälle einfach weggeschossen wurden?

Ja, da müssen auch die Einradfahrer weichen!  
Pas des deux.  
Wem die Regeln zu schwammig erscheinen, soll das Spiel einmal probieren. Es wird sich dann nämlich schnell herausstellen, dass es sowieso einen starken Zug zum Anarchischen hat. Auch bei guten FußballerInnen und erfahrenen JongleurInnen ist ein Chaos vorprogrammiert, an dem kleinliche Regeln abprallen. Das sehe ich nicht negativ, im Gegenteil: Bei unseren Matches ist - so scheint es mir jedenfalls - die Lust am Chaos eine starke Triebfeder des Spiels gewesen. Da kommt es natürlich auch vor, dass das anarchische Element für die Zwecke der eigenen Mannschaft ausgenützt wird, oder weniger vornehm ausgedrückt: es wird geschummelt [Anm. d. Übs.: nicht übersetzbar, in etwa: auf harmlose Art geschwindelt]. Aber da es bei uns nicht ums Gewinnen geht, hat es noch nie ein Problem damit gegeben. Auch mit den Regeln ein wenig zu jonglieren, ist doch für unsereinen ein naheliegender Gedanke, oder? Und: Grobe Verletzungen der Spielidee oder Fairness sind unschwer festzustellen und in solchen Fällen wurde einfach ein Elfmeter oder was auch immer ausgehandelt.

Der chaotische Verlauf ist sicher darauf zurückzuführen, dass es sich um eine neue, ungewohnte Bewegungsaufgabe handelt. Aber nicht nur, wie mir scheint. Beim Jollyball4 kann man, ohne zu jonglieren auf den Spielball warten; beim Combat kündigen sich Situationsänderungen oft vorher an. Aber beim Fußball ist der Ball sehr schnell da und der Jonglierrhythmus kann bei der Ballannahme selten rasch genug an die notwendige Beinbewegung angepasst werden. Schon ein langsam rollender Ball ist schwer genug zu stoppen. Manche der Schwierigkeiten lassen sich mit Übung wohl mehr oder weniger meistern. Etwa das verbreitete motorische Fehlverhalten beim Torschuss: die Energien für Schuss und Würfe falsch zu verteilen oder dabei überhaupt auf die Jonglage zu vergessen. Oder stets Jonglierbälle, Fußball, Anspielpartner und Gegner gleichzeitig im Aufmerksamkeitsfeld zu halten.

Nicht durchgesetzt hat sich die Variante, bei der mit Keulen jongliert wird. Weniger wegen des größeren technischen Schwierigkeitsgrades, sondern weil Keulen den "Persönlichkeitsraum" so weit vergrößern, dass ein Zweikampf um den Ball kaum auszutragen ist, ohne dass die Keulen kollidieren.

Bleibt die Frage offen, worin die Koordinationsaufgabe für die Zunge (vgl. ersten Absatz) besteht. Nun es war schon die Rede davon, dass immer wieder Spielsituationen kommentiert und Entscheidungen ausgehandelt werden müssen. Wer jonglierend und kickend auch noch Eloquenz entwickeln kann, ist da natürlich - ähnlich wie beim Combat - im Vorteil. Und zweitens muss - das wäre vielleicht noch als Regel Nr. 3 zu ergänzen, jede/r SpielerIn auch in den schwierigsten Situationen imstande sein, den Namen des Spiels korrekt auszusprechen. Sollten Worte dieser Länge in der Muttersprache der SpielerInnen nicht üblich sein, dürfen die Vokale weggelassen werden: Tschbtschxtschllntsch. Der Sinn der Regel? Zumindest bei einigen künftigen Ländermatches sollte uns das einen kleinen Vorteil schaffen ... Ahem ... Sagte ich, es geht nicht ums Gewinnen? ... Na ja, das war auch geschummelt. Aber nur ein bisschen!

Selbst der Wilhelm Tell-Trick kann den Torschützen nicht ablenken...
Bizarre Spielszene.

P.S.: Der Bescheidenheit halber sei angemerkt, dass der Name des Spiels nicht von mir stammt. Mein Beitrag bestand nur darin, mit einem Fußball während des Jonglierens herumspielend, den Stein (oder besser gesagt den Ball) ins Rollen gebracht zu haben. Mario hat die Bezeichnung geprägt und Klaus hat darauf bestanden, dass das Spiel unter diesem Namen veröffentlicht wird. Um der vier "tsch" willen und aus Gründen, die schon im letzten Absatz angesprochen wurden, habe ich die ursprüngliche Schreibweise noch etwas abgeändert.

Und noch eines: Wer das Spiel als ernsten und disziplinierten Kampfsport betreibt, mit straffem Regelwerk, Schieds- und Linienrichtern, wer auf WMs und olympische Teilnahme schielt, ja schon wer sich Spielresultate merkt, der spielt vielleicht Konkurrenzfußdreiballeistungsjonglierkampf oder Soccling oder was auch immer, aber nicht TschebetschexTschellentsch.



1 Eine Kombination aus Jonglieren und Jogging.
2 Kampfjonglieren: Wer nicht fallen lässt, gewinnt.
3 = 1994. Der Artikel stammt aus dem Herbst 1995.
4 Eine Kombination von Volleyball und Jonglieren.



Wolfgang Schebeczek (Wien) schätzt das Jonglieren vor allem wegen seiner spielerischen Qualitäten. Auch die Lust am Absurden und der Reiz des Spazierengehens am Rande des Chaos sind eine starke Motivation für den erklärten Nicht-Performer. Der ursprünglich in Kaskade No. 39 erschienene Artikel wurde für die Web-Publikation mit Anmerkungen versehen. Zu den erwähnten Jonglierspielen Combat und Jollyball siehe auch: Echte Andis, Keulenkampf & Dauerstress und Regeln für das Jollyballspiel.
Weitere Beiträge des Autors auf den Webseiten von jonglieren.at: siehe Index: Schebeczek, Wolfgang

Alle Rechte verbleiben beim Autor. Veröffentlicht mit freundlicher Genehmigung von Kaskade - Europäische Jonglierzeitschrift und mit Einverständnis des Autors. Jänner 2001.