Compagnie Jérôme Thomas
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  Laszlo Pinter

  aus:
    Tick. Die Zeitung von Artis-Tick, Nr. 8 (Spätherbst 1998), p 18

         
Ein jonglierendes Orchester, bestehend aus 4 skurillen barfüßigen Personen in blauen Latzhosen, betritt gemeinsam mit einem Akkordeonspieler die Bühne. So beginnt das rund 100-minütige Spektakel der Truppe Jérôme Thomas, das im Oktober 1998 im großen Saal des Linzer Posthofs aufgeführt wurde.

Der in der Nähe von Lyon lebende Jongleur und Tänzer Jérôme Thomas gilt als eigenbrötlerisch und kompromißlos. Nicht umsonst hat er die bekannte französische Zirkusschule von Chalon sur Marne aufgrund ideologischer Reibereien mit den dortigen Lehrern abgebrochen: weil er eben von gesundem Schlaf bei weitem mehr hält als von hartem Training.

Auf der ganzen Welt besucht er heute Zirkusschulen, um seine theoretischen und praktischen Kenntnisse in der Jonglierkunst an seine Schüler weiterzugeben. Dabei geht es ihm primär um die Stärkung der Persönlichkeit seiner Schützlinge. Sie sollen, so Thomas, "unerschütterlich" gegenüber den Widrigkeiten des Alltags werden, um ihre schöpferischen Ressourcen als Künstler/Artisten voll ausnutzen zu können.. Und dies spiegelt sich auch in der künstlerischen Kompromißlosigkeit der Vorstellung, die alles andere als einschläfernd ist.

Sprungbälle mutieren zu weißen Mäusen

 
Jérôme Thomas inszeniert gemeinsam mit seinen 4 Schülern und einem Musiker mit einfachsten Hilfsmitteln auf der Bühne ein optisches und akustisches Feuerwerk voller Witz und Aberwitz. Als dominantes Jonglierrequisit dienen weiße Sprungbälle, die nicht nur bravorös jongliert werden, sondern immer wieder auch verfremdet in Erscheinung treten. Mal als Kugeln, die an den Enden, von ca 3 Meter langen angelrutenartigen flexiblen Stäben festgenagelt, Lichtmuster in den Raum zeichnen, mal als weiße Kügelchen, die wie weiße Mäuse über die Körper der Akteure wandern und für spielerische Unruhe sorgen. Wir erliegen der Kraft der Illusionen. Faszinierend müssen wir immer wieder erkennen, wie verblüffend einfach sie erzeugt werden.

In einer der Szenen beginnt beispielsweise ein weißer Ball wie von Geisterhand geführt auf einer quadratischen Holzkiste auf und ab zu springen, mal schneller, mal langsamer, und trommelt sprichwörtlich zwei Jongleure um sich zusammen, die staunend um den Ball herumtanzen und seine Bewegungen nachahmen. Doch bald darauf entpuppt sich die Illusion, die durch eine perfekte Lichtführung - gezielt eingesetzte Spots beleuchten das, was gesehen werden soll - unterstützt wird, als genial einfacher Trick. Irgendwann drehen nämlich die 2 Akteure die Kiste um 180 Grad und wir sehen, daß darin ein dritter kauert und an einem dünnen Draht auf und ab zieht, an deren Ende der Sprungball befestigt ist. Verwirrt blickt dieser, ohne das Ziehen an der Schnur zu unterbrechen, ins Publikum.

Geniale Illusionen mit einfachsten Mitteln erzeugt

 
Ebenso beeindruckend wird das Erzeugen von bewegten Lichtskulpturen vorgeführt. Lange weiße Gummischnüre verbinden die Hände der Akteure mit der Bühnendecke. In der Mitte eines jeden Fadens ist eine kleine weiße Kugel befestigt. Durch genauestens aufeinander abgestimmte Armbewegungen lassen die Artisten überdimensionale geometrische Skulpturen aus weißem Licht entstehen, indem die weißen Fäden und Kugeln zu flächigen Bildern mutieren. Verspielt tänzeln die Akteure auf der Bühne herum, mal verstricken sich die Fäden ineinander, mal lösen sich die Verstrickungen wieder auf und wandeln sich in pulsierende Lichtobjekte. Doch nicht das Formalästhetische der Objekte steht dabei im Vordergrund, sondern das spielerische Erzeugen der Eindrücke mit einfachsten Mitteln, das Experimentieren mit Takt, Rhythmus und Bewegung.

Fußspitzentanz auf Taucherflossen, Jonglieren mit Flaumfedern

 
Jérôme Thomas' Truppe erzählt keine zusammenhängende Geschichte, vielmehr werden uns Szenen dargeboten, die ihren improvisatorischen Ursprung nicht verleugnen können - aber gerade das verleiht ihnen eine unnachahmliche Lebendigkeit.

Clowneske, mit minimalistischer Musik unterlegte Szenen wechseln einander ab: Jonglieren, genauer gesagt: ein In-der-Luft-halten von Flaumfedern und hauchdünnen Plastiksackerln; eine Balletteinlage mit Fußspitzentanz auf Taucherflossen; ein musikalischer Dialog zwischen einem Pianisten und einem Sprungballjongleur.

Neben der hohen schauspielerischen Fertigkeit der Darsteller - in aberwitzige, vieldeutige Gesten und Bewegungen der Artisten mischt sich stets ein Hauch von Komik, ein vieldeutiges Spiel mit Andeutungen und Bedeutungen - sollte auch die exzellente und stilistisch unverwechselbare Jongliertechnik der Darsteller erwähnt werden. Und was Jérôme Thomas` Truppe nicht zuletzt so unbeschreiblich sympathisch macht, ist, daß sie uns zeigt, daß das Schwierige ganz einfach sein, das Ernsthafte ganz lächerlich wirken kann. Virtuosität wird augenblicklich entlarvt als eine sich nicht allzu ernst nehmende Spielerei, wenn Thomas z.B. nach einer rasanten 3-Ball-Jongliersequenz die Bälle unmerklich auffängt, die leeren Hände aber weiterjonglieren und er dies mit einem verschmitzten Lächeln kommentiert.

Das Publikum ist einhellig begeistert von der Vorstellung. Und Jérôme Thomas ist wie kein anderer interessiert an den Reaktionen und Eindrücken der Zuschauer. Publikumsnähe ist ihm unerläßlich: sowohl vor als auch nach der Vorstellung begrüßt er sein Publikum, schüttelt die Hände, spricht ungezwungen mit den Leuten. Es ist fast schon unheimlich, wie der Funke der Begeisterung zwischen Künstler und Publikum hin- und herspringt.



Laszlo Pinter (Wien), Artist, Jonglierpädagoge, Freizeitbetreuer. Laszlo Pinter interessiert sich leidenschaftlich für Jonglieren und Clownerie. Er arbeitet professionell in der Artistengruppe Die Pyromantiker und als Solist und unterrichtet in mehreren Institutionen Jonglieren und sonstige Zirkuskünste. Außerdem absolviert er derzeit die Ausbildung bei den Wiener Clini Clowns. Sein besonderes Interesse gilt neuen Präsentationsformen der Jonglage, namentlich denen, die in den letzten Jahren in Frankreich entstanden sind. Dazu siehe auch: Der Jongleur Laurent Cabrol.
Weitere Artikel des Autors auf den Webseiten von jonglieren.at: siehe: Index: Pinter, Laszlo

Alle Rechte verbleiben beim Autor. Veröffentlicht mit seinem Einverständnis und mit freundlicher Genehmigung von Artis-Tick. Jänner 2002.