Inf zru sot ral kef zat
  jonglieren.at: Theorie & Praxis: Inf zru sot ral kef zat
   
Martin Apolin
 
aus:
    Tick. Die Zeitung von Artis-Tick, Nr. 14 (Sommer 2000), p 7
         

Im letzten Tick habe ich gelesen, dass Jay Gilligan meint, man solle lieber weniger, aber dafür sichere Würfe trainieren und erst dann die Wurfzahl steigern [*]. Dem stimme ich zu, aber nicht ganz. Nein, eigentlich widerspreche ich doch! Gut, also der Reihe nach.

Was würdest du machen, um die 6 sinnlosen Silben aus der Überschrift zu lernen? Du würdest sie wiederholen bis du sie kannst. Du würdest sie immer EXAKT wiederholen, damit sich diese Gedächtnisspur im Gehirn einprägen kann. Wenn du zum Beispiel "Die Glocke" auswendig lernst, würdest du genau dasselbe machen: exaktes, oftmaliges Wiederholen. Wenn du nicht exakt wiederholst, dann kannst du "Die Glocke" nacherzählen, aber du kannst sie nicht auswendig, also nicht Wort für Wort. Das ist aber ein großer Unterschied. Zum Auswendiglernen braucht man also zwei Dinge: viele Wiederholungen und Exaktheit. Wenn du genug exakte Wiederholungen gemacht hast, dann haben sich die Nervenzellen im Gehirn dauerhaft umorganisiert. Das nennen wir Gedächtnis.

Ohne Gedächtnis auch kein Bewegungslernen! Deshalb ist es hier im Prinzip genauso: Du brauchst Exaktheit und möglichst viele Wiederholungen. Die Kaskade kannst du nicht nur deshalb so gut, weil sie so leicht ist, sondern auch, weil du sie zwischendurch und zum Aufwärmen immer wieder jonglierst. Mit jeder Wiederholung wirst du exakter. Warum sind wir mit einer Hand in den Alltagsdingen viel schlechter als mit der anderen (probier doch mal, mit deiner ungeübten Hand die Zähne zu putzen!)? Weil wir mit ihr nicht oder weniger üben! Der sogenannte "Bewegungsschatz" der schlechteren Hand ist daher nicht so reichhaltig und nicht so ausgeprägt. Deshalb braucht die ungeübtere Hand auch bei Tricks immer länger bzw. wird niemals so gut wie die geübte.

Diese Hochgeschwindigkeitsaufnahmen habe ich vor etwa 5 Jahren von mir gemacht. Sie zeigen einen vollen Durchlauf einer Drei- und Fünfballkaskade aus meiner Sicht. Man sieht, dass sogar bei der Dreiballkaskade die linke Hand deutlich ungenauer wirft.

Wenn ich für einen Auftritt übe, dann jongliere ich meine Tricks "weich". Oft übe ich einen Trick, den ich schon sehr gut kann, viele Minuten lang, und das einige Tage hintereinander. Und auf einmal ist der Trick "weich", sprich, er fühlt sich anders an, er ist viel runder geworden und alles ist viel müheloser. Daher ist es wichtig, viele Wiederholungen zumachen! Auf der anderen Seite ist es wiederum sinnlos, bei einem Trick, den man erst rudimentär beherrscht, krampfhaft Wiederholungen zu schinden. Denk an das Gedicht! Du willst ja den Trick "auswendig" können und nicht nur "nacherzählen". Die Zauberformel lautet also exaktes, oftmaliges Wiederholen. Also macht es keinen Sinn, schlechte Bewegungen mit der Brechstange zu wiederholen.

Wenn ich eine Bewegung aber nur über exakte Wiederholung lernen kann, diese aber nicht schaffe, wie soll ich dann den Trick lernen? Die Antwort lautet: Dann musst du dir eine Vorübung suchen, die so leicht ist, dass du sie exakt wiederholen kannst. Wenn du aber die schwerste Vorübung schon gut kannst (wenn sie also ausgereizt ist) und der fertige Trick trotzdem zu ungenau ist, dann musst du leider in den sauren Apfel beißen, und trotzdem den fertigen Trick jonglieren. Deshalb ist die Fünfballkaskade auch so verdammt schwer und langwierig zu erlernen. Nehmen wir als Hausnummer an, du musst 10.000 exakte Wiederholungen machen, um einen Trick zu erlernen. Bei der Dreiballkaskade geht das recht schnell. Bei der Fünfballkaskade brauchst du auch diese 10.000 Wiederholungen, aber hintereinander schaffst du vielleicht nur 5. Du verstehst die Langwierigkeit des Unternehmens!?

Die Forderung nach exakter Wiederholung zur Ausbildung des "Bewegungsgedächtnisses" führt dich direkt zu den Vorübungen eines Tricks, die du dir leider oft selbst ausdenken musst. Jonglieren hat also auch mit Intelligenz zu tun! Ob die Forderung nach exakten UND vielen Wiederholungen nun eine Zustimmung zu Gilligan ist oder nicht, musst du dir selbst überlegen.


 

[*] Anm. d. Red.: Der Autor bezieht sich auf: rok: Theorie: Gilligan-Methode (Tick Nr. 13 (Frühling 2000), p 18), Kurzartikel und Kommentar zum oben beschriebenen Trainingstip des bekannten US-amerikanischen Jongleurs Jay Gilligan.



Martin Apolin ist AHS-Lehrer für Sport und Physik und begeisterter Jongleur. Er hat sich insbesondere mit didaktischen Fragen des Jonglieren Lernens und Trainierens gründlich auseinandergesetzt. Weitere Publikationen zum Thema Jonglieren: Die Lehrbücher "Jonglieren ist keine Kunst" und "Vier und fünf Bälle jonglieren ist keine Kunst", sowie mehrere Artikel u.a. in den Zeitschriften Leibesübungen Leibeserziehung, Kaskade und Tick.
Weitere Artikel des Autors auf den Webseiten von jonglieren.at: siehe: Index: Apolin, Martin

Alle Rechte verbleiben beim Autor. Veröffentlicht mit freundlicher Genehmigung von Artis-Tick und mit Einverständnis des Autors. Oktober 2001.