Ewig lernen?
  jonglieren.at: Theorie & Praxis: Ewig lernen?

  Lehrer zu sein, heißt auch Schüler zu sein und umgekehrt.
Reflexionen zum Jonglierunterricht

  Laszlo Pinter

  Martin Hammer: Foto

  aus:
    Tick. Die Zeitung von Artis-Tick, Nr. 1 (2. Jänner 1997), pp 8-9
         

  Laszlo Pinter
  Laszlo Pinter
Wenn man sich dazu entschlossen hat, selbst Jonglierunterricht zu geben, wird man sehr bald mit zahlreichen Schwierigkeiten konfrontiert. Eine dieser Schwierigkeiten betrifft folgende Frage: Wie gehe ich mit dem Problem um, daß ich einen Trick jonglieren kann, und ihn jemandem, der ihn noch nie jongliert hat, beibringen möchte? Damit ist grundsätzlich auch die Beziehung des Lehrers zu seinem Schüler angesprochen. Die konservative Sichtweise sieht in diesem Verhältnis allzu oft eine hierarchische, bei der ein Wissender (Lehrer) dem Unwissenden (Schüler) etwas beizubringen hat. Abgesehen davon, daß eine solche Hierarchisierung der ganzen Beziehung nicht zuträglich ist, übersieht sie auch, daß effizientes Lernen erst bei einer "Entpolarisierung" dieser Beziehung möglich wird. Ich möchte durch nachfolgende Überlegungen darstellen, was ich unter dieser Entpolarisierung verstehe.

Beim Jonglieren kann man auf unterschiedliche Art und Weise an Tricks herangehen: während man einen neuen Trick lernt, sucht man laufend nach Erklärungen, um das Muster zu verstehen (Theorie) und dann auch umsetzen zu können (Praxis).

In den wenigsten Fällen genügt es, wenn man einen Trick einfach nur ohne Erklärung präsentiert bekommt - natürlich hängt das auch davon ab, wieviel Erfahrung ein Schüler schon mit dem Erlernen von neuen Tricks gemacht hat, inwieweit er auf visuelles Lernen anspricht usw...

Nach dem oft mühsamen Lernprozeß tritt das theoretische Wissen und Analysieren aber meist stark in den Hintergrund unseres Bewußtseins, daß heißt, daß wir kaum mehr darüber reflektieren, was wir gerade tun, weil es einfach nicht mehr notwendig ist. Wir jonglieren einen Trick, ohne zu überlegen, wie wir den nächsten Ball werfen müssen.

Um so wichtiger ist es für jemanden, der seine Kenntnisse weitergeben will, sich zeitweise auf solche begrifflichen Analysen, die ihm wahrscheinlich gar nicht mehr vertraut sind, zurückzubesinnen. Die Fähigkeit, einen Trick zu jonglieren, bedeutet also nicht ohne weiteres, daß man ihn auch weitergeben kann. Es ist sogar sehr oft der Fall, daß man komplizierte Tricks komplett neu analysieren muß (bezüglich Flugbahnen der Bälle, Rhythmus, Wurffolge usw...), damit man sie einem anderen verständlich erklären kann, sodaß er den Trick lernen kann.

Anders ausgedrückt: Man muß den Trick noch einmal entschlüsseln, und in gewissem Sinne neu lernen - "Können" und "Wissen wie" sind zwei unterschiedliche Paar Schuhe. Daraus wird auch verständlich, warum oft derjenige einen Trick am besten erklären kann, der ihn sich erst vor kurzem selbst erarbeitet hat - es ist ihm eben noch voll bewußt, worauf es beim Erlernen des Tricks ankommt, welche Schwierigkeiten dabei auftauchen können, er kann ihn nicht nur, er weiß auch, wie er funktioniert.

Als Lehrer kann man sich dadurch behelfen, daß man sich besinnt, welche Probleme man selbst beim Erlernen eines Tricks gehabt hat, aber auch, indem man sich Erfahrungen und Schwierigkeiten, die bei anderen Schülern aufgetaucht sind, in Erinnerung ruft. Das bedeutet konkret, daß man versuchen sollte, statt aus der Rolle des "vermeintlich Wissenden" heraus, aus der Perspektive eines Lernenden zu unterrichten, indem man selbst den ganzen Lernprozess auf möglichst vielfältige Art und Weise neu nachvollzieht.

Ein guter Lehrer muß somit, diesen Überlegungen gemäß, auch ein guter Schüler sein, daß heißt: er muß jederzeit bereit sein, auch selbst beim Unterricht dazuzulernen.

Nicht zuletzt, erweitert der Lehrer seine pädagogischen Fähigkeiten erst, indem ein Schüler einen völlig neuen Zugang zum Lernen erkennen lässt und damit den Lehrer vor neue Schwierigkeiten und damit Herausforderungen stellt.

Diese Beziehung ist daher aus einer solchen Perspektive betrachtet eine ausgesprochen symmetrische. Die Entpolarisierung der Beziehung Schüler - Lehrer ist demnach dann erreicht, wenn beide, sowohl Schüler als auch Lehrer, erkennen, daß sie gleichzeitig Träger beider Rollen sind. Lehrer zu sein, heißt auch Schüler zu sein - und umgekehrt.



Laszlo Pinter (Wien), Artist, Jonglierpädagoge, Freizeitbetreuer. Laszlo Pinter unterrichtet an der Circusakademie des Kulturvereins KAOS, dem Universitäts-Sportinstitut Wien, dem Verein Kids Company sowie an mehreren Volkshochschulen der Stadt Wien Jonglieren und sonstige Zirkuskünste. Außerdem absolviert er derzeit die Ausbildung bei den Wiener Clini Clowns. Professionelle Arbeit in der Artistengruppe Die Pyromantiker und als Solist.
Martin Hammer (Wien) liebt Jonglieren (vor allem mit dem Devilstick) und Fotografieren und "schafft es manchmal sogar, beides zu verbinden" (O-Ton Martin).
Weitere Beiträge auf den Webseiten von jonglieren.at: siehe: Index: Pinter, Laszlo bzw. Index: Hammer, Martin

Alle Rechte verbleiben bei Autor bzw. Fotograf. Veröffentlicht mit ihrem Einverständnis und mit freundlicher Genehmigung von Artis-Tick. Jänner 2002.