Die Kunst des Warmmachens
  jonglieren.at: Theorie & Praxis: Die Kunst des Warmmachens

  Martin Apolin: Text

  Janosch Slama: Grafiken

  aus:
    Tick. Die Zeitung von Artis-Tick, Nr. 6 (Frühling 1998), p 10 und Nr. 7 (Sommer 1998), p 9

         
Müde Muskeln anstatt flockiger Flashes? Schlaffe Arme anstatt flinker Hände? Tja, das könnte vielleicht daran liegen, daß Du Dich nicht gut aufgewämt hast!

Einem Klavierspieler würde nie in den Sinn kommen, sich ans Klavier zu setzen und loszulegen. Er spielt sich ein, wärmt sich also auf. Die Nerven leiten langsamer, wenn die Körpertemperatur gering ist, die Muskeln sind unbeweglicher, die Sensibilität und die Koordination sind wesentlich schlechter als in aufgewärmtem Zustand. Du kennst das: Tricks, die man aufgewärmt mit links beherrscht, können unaufgewärmt völlig unkoordiniert sein. Daher ist es wichtig, je nachdem, wieviel Zeit man sich nehmen will, zumindest ein wenig aufzuwärmen.

Wenn du mit einem Messer durch Einritzen eine möglichst tiefe Rille machen möchtest, wie mußt Du dann das Messer ansetzen? Natürlich immer wieder in der selben Rille. Sonst bekommst Du nicht eine tiefe Rille, sondern viele nebeneinandern. Und wie mußt Du eine Text-Seite durchlesen, die Du exakt auswendig lernen möchtest? Natürlich jedes Mal im exakten Wortlaut! Sonst kannst Du später nur den Sinn mit etwa den selben Worten wiedergeben.

Bewegungslernen funktioniert so, wie jedes andere Lernen auch. Es kommt darauf an, eine Bewegung möglichst exakt immer wieder durchzuüben. Beim Ritzen von Rillen oder exakten Lernen eines Textes ist Dir das genaue Wiederholen klar. Aber ist es Dir auch beim Lernen einer Bewegung klar?! Der Schlüssel liegt auch hier in der exakten Wiederholung. Das heißt aber auch, daß die einzelne Übung immer nur so schwierig sein darf, daß sie sich halbwegs exakt wiederholen läßt. Und das heißt andererseits, daß man beim Lernen einer neuen Bewegung sehr gut aufgewärmt sein muß. Ist man das nicht, so ist jede Wiederholung anders und es verläuft jede Rille an einer anderen Stelle.

Aufwärmen klingt etwas langweilig, muß es aber nicht sein. Das Aufwärmen selbst kann zum sinnvollen Üben gemacht werden. Es sollen hier einige Übungen vorgestellt werden. Zum Aufwärmen solltest Du wegen des geringen Gewichts eigentlich Bälle nehmen.

1. Übung

 
Nimm Dir drei Bälle und jongliere die Kaskade. Halte dabei die Jonglage etwas tiefer als sonst und schau über die Bälle hinweg. Du kannst Dich dabei z.B. unterhalten. Diese Übung wärmt nicht nur auf, sie schult auch das periphere Sehen, also die Aufmerksamkeit sich auf Dinge zu konzentrieren, die am Rande des Blickfeldes liegen. Daher ist die Übung auch eine gute Vorbereitung für Passings. Probiere diese Übung nicht nur mit der Kaskade, sondern auch mit der Rückwärtskaskade oder dem Halbshower.

2. Übung

Auch diese Übung schult das periphere Sehen. Suche Dir in Augenhöhe einen Punkt an der Wand und fixiere ihn. Du schaust dabei natürlich über die Jonglage oder zumindest durch sie durch. Dann beginne, Dich langsam mit dem ganzen Körper nach links zu drehen, ohne dabei den Punkt aus den Augen zu verlieren; d.h. der Kopf zeigt immer in dieselbe Richtung. Du wirst zu Beginn nur einen kleinen Winkel schaffen, ohne daß ein Ball aus der nicht mehr gut sichtbaren linken Hand zu Boden fällt. Nach und nach wird sich der Winkel vergrößern, um den Du Dich drehen kannst. Vielleicht gelingt es Dir sogar, mit einer Hand in den blinden Bereich zu kommen. Übe natürlich auch auf der anderen Seite.

2. übung

3. Übung
3. Übung


Dies ist eine ähnliche Übung wie 2. Suche Dir jedoch diesmal einen Punkt an der Decke und fixiere ihn. Der Punkt sollte so gewählt werden, daß man noch problemlos jonglieren kann. Dann geh langsam in Richtung des Punktes, und Du wirst den Kopf immer mehr nach oben neigen müssen. Ab einer bestimmten Kopfhaltung wird es sehr schwer werden, noch weiterzujonglieren, vor allem, wenn Du völlig in den blinden Bereich gerätst. Dies ist auch eine gute Vorübung, wenn Du beim Jonglieren einen Gegenstand auf der Nase balancieren willst.

4. Übung: Die Kunst des Nachgebens

Mache eine Dreiball-Kaskade und klopfe mit jedem Ball, den Du fängst, leicht auf den Oberschenkel. Das ist auch eine gute Übung für vier und vor allem fünf Bälle, die ja einiges höher geworfen werden als drei. Der Beschleunigungsweg der Bälle sollte daher auch länger sein, sonst wird man zu schnell müde. Man muß "die Kunst des Nachgebens" lernen. Die Bälle werden ganz weich aufgefangen und in einem großen und runden Bogen wieder abgeworfen. Zackige und eckige Bewegungen kosten zu viel Kraft und sehen außerdem nicht schön aus.

4. Übung

5. Übung: Jonglieren im Kopf
5. Übung


Mentales Training ist Üben im Kopf. Mache Dir diese Technik auch beim Jonglieren zunutze. Nimm nur einen Ball, schließe die Augen und stelle Dir zunächst nur vor, daß Du diesen Ball von einer in die andere Hand wirfst. Dann öffne die Augen und wirf tatsächlich einige Male. Schließe die Augen und stelle Dir diese Bewegung wieder nur vor und so weiter. Versuche dann nach einiger Zeit, den Ball mit geschlossenen Augen zu werfen. Das ist wahrscheinlich einfacher als Du denkst.

Später kannst Du dasselbe mit zwei und drei Bällen probieren. Diese Übung schult das Gefühl und die Vorstellungskraft. Wichtig: Jede Übung muß zuerst schon in Deinem Kopf fix und fertig vorhanden sein, bevor Du sie ausführst. Versuche auch später immer wieder, kurze Pausen einzufügen und die Übung nur mental durchzuführen. Die Übung kann dabei in Echtzeit oder in Zeitlupe ablaufen, wichtig ist, daß die Geschwindigkeit immer gleich bleibt. Dort, wo der "innere Film" abreißt und Deine Vorstellungskraft versagt, wirst Du mit großer Wahrscheinlichkeit auch beim tatsächlichen Üben Schwierigkeiten haben.

6. Übung: Der liegende 8er

Zum Abschluß noch eine schwerere Übung. Jongliere die Kaskade und konzentriere Dich dabei auf einen bestimmten Ball und verfolge die Bahn des liegenden 8ers. Verfolge diesen Ball mit den Augen, laß ihn nie los. Der Kopf sollte dabei ruhig bleiben. Diese Übung ist relativ schwer, weil man die beiden anderen Bälle nur mehr aus den Augenwinkeln sieht.

6. Übung



Martin Apolin (Wien) ist AHS-Lehrer für Sport und Physik und begeisterter Jongleur. Er hat sich insbesondere mit Fragen des Jonglieren Lernens und Trainierens gründlich auseinandergesetzt. Der obige Artikel, eine Erweiterung des Abschnitts "Aufwärmübungen" aus seinem Buch "Vier und fünf Bälle jonglieren ist keine Kunst" (pp 4-6), ist in zwei Teilen in Tick Nr. 6 und Nr. 7 erschienen. Weitere Publikationen des Autors zum Thema Jonglieren: Das Lehrbuch "Jonglieren ist keine Kunst" sowie mehrere Artikel u.a. in den Zeitschriften Leibesübungen Leibeserziehung, Kaskade und Tick.
Janosch Slama (Wien) ist Grafiker, Jongleur und "Direktor" des Circus Rabiat. Seine zahlreichen Jonglier-Cartoons sind u.a. in Tick und anderen Publikationen von Artis-Tick, auf den Webseiten des Circus Rabiat und von Artis-Tick, sowie in dem Büchlein: "Rastelli + Rastelli. Die beiden lustigen Spinnen aus dem Internet, Folge 1 - Folge 44" (c2001) publiziert worden.
Weitere Beiträge auf den Webseiten von jonglieren.at: siehe: Index: Apolin, Martin bzw. Index: Slama, Janosch

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