Vorsicht - bissiger Schulwart!
  jonglieren.at: Szene: Vorsicht - bissiger Schulwart!

  Lisi Gräf

  Jan Mateovics

  aus:
    Tick. Die Zeitung von Artis-Tick, Nr. 13 (Frühling 2000), pp 10-12

         
Um die Winterquartiere auf ihre Jongliertauglichkeit zu prüfen, schlugen wir uns durch das wachsende TICK-icht [1] der Hallentreffen in Wien [2]. Für den nachfolgenden Test zogen wir nicht nur technische Daten wie Größe und Höhe der Halle in Betracht, sondern auch Plauderfaktor und kulinarisches Umfeld. Die Messdaten wurden von einem unabhängigen Team erhoben, das ausschließlich aus JongleurInnen und EinradfahrerInnen besteht. Das Gesamturteil setzt sich aus Einzelurteilen zusammen, die über den Zeitraum des gesamten Herbst-/Wintersemesters gebildet wurden. Selbstverständlich spiegeln die Ergebnisse dieses Tests nichtsdestotrotz die ganz persönliche Meinung der AutorInnen wider.

Turnhalle Novaragasse


1. Der Testsieger: Rastelli-Multiplexx-Halle
 
Bobby May Weg 441, 5344 Phantasien
(Nonstop 24 h Jongliermöglichkeit, regelmäßige Treffen: siehe Schwarzes Brett)

Halle: 31321 keu2 [3], Höhe 51 keu (Effekt wie Jonglieren unter freiem Himmel), mindestens 201 keu2 pro Jongleur/se Platz.
Schallgedämpfter Holzboden, Einradecke (7333 keu2, mit Downhill-Rampe), Bouncing-Fläche aus Halleiner Marmor, Beachvolleyclubfeld, Jollyballrasen, Diabolohochwurfmesslatte.

Umfeld: Garderobe warm, hell, Rosenduft, Getränkeautomat, Sauna und Whirlpool, Juke Box, Fußbodenheizung, Keulengriffwärmer, Ballwäscherei, Fön und Badewannen, Walk- und Discmanverleih (gratis), Kinderkrippe, persönliche Requisitenspinde.

Atmosphäre: Bei Eintritt hält dir der Hallenwart die Türe auf und trägt die Requisiten in den Turnsaal. Dort wartet ein fügsames Kind auf seine Diensterfüllung (als Keulensklave), darüber hinaus stehen unbegrenzt Jause und Getränke bereit. Auf der Galerie trifft man Gleichgesinnte am Obstbuffett und hat einen guten Ausblick auf alle Ausrichtesubjekte, daher Plauderfaktor: hoch.
Gleichmäßiges Tageslicht erfüllt den nach Granny Smith duftenden Saal, wer von der lockeren Trainingsatmosphäre genug hat, kann sich im Videoraum weiterbilden (AV-Archiv) oder sich in der Akrobatik- bzw. Schlappseilecke tummeln.

Bonus: Guerillarutschen verbinden die einzelnen Turnsaalbereiche; alle technischen Zahlenangaben sind als Site-swap jonglierbar.

Malus: an schlecht besuchten Tagen etwas anonym

Verkehrsanbindung: Alle Wege führen zur Rastelli-Multiplexx-Halle!!!

Kulinarische Lage: unerheblich, da "all inclusive". Für Feiern danach bietet sich allerdings das "Dropless" an: in gemütlicher Atmosphäre bietet es persische, türkische, italienische Küche sowie gute, alte Wiener Hausmannskost zu günstigsten Preisen (auch Anschreiben möglich!).

Wertung: 1, Testsieger


2. Das Allrounder-Treffen: Turnsaal VS Landsteinergasse
 
Landsteinerg. 4, 1160 Wien (Jongliertreffen, Di 18-21 Uhr)

Halle: 525 keu2, im Schnitt 32 keu2 pro Jongleur/se Platz. Höhe: gemütlicher Quadruple. Gutes Licht, keine Spots, Sprossenwand, Parkettboden, Hunde und Einräder verboten, Schlappseil hinten aufhängbar (bedingt, je nach Besucherzahl), bei Platzmangel Ausweichmöglichkeit in die Garderobe (Bouncen).

  Garderobe Landsteinergasse
Umfeld: geräumige Garderobe mit relativ hohem Käsefaktor, Wasser(trink)- und Duschmöglichkeit, dunkelgrau-kaltes WC

Atmosphäre: Die Stimmung im meist sehr gut besuchten Turnsaal ist gemütlich-konzentriert, das Publikum ist gemischt. Hier trifft Batikhose auf Sportjongleur, Anfänger auf Profi. Plauderfaktor: mittel, es wird auch gegessen.
Der Turnsaal ist kinderfreundlich. Es gibt eine dicke Matte zum Ablegen (Säuglinge), Rumkrabbelnlassen oder Rumhupfen (keine Altersbeschränkung, ähem).

Bonus: geeignet für vielfältiges Trainieren mit allen Requisiten, warmer Duschraum

Sperrstunde ist um 21h!!!
 
Malus: grimmiger, auf überpünktlichen Dienstschluss bedachter Schulwart, ab 19 Uhr oft Platzmangel.

Verkehrsanbindung: U3, 10, 46, 48A, S45, J (bedingt).

Kulinarische Lage: Nach dem Treffen stehen zwei Lokale zur Wahl, es heißt also Pizzeriafans gegen Schmankerlwirtfetischisten. Zur Gastgartenzeit wird die Pizzeria bevorzugt (bis wir wieder einmal vertrieben werden), zur Most- und Sturmzeit trägt meist der Schmankerlwirt den Sieg davon.

Wertung: 2


3. Das Trainingslager: Turnsaal der VS Julius-Meinl-Gasse
 
Julius Meinlg. 1, 1160 Wien (Einradtreffen, Mi. 18-21 Uhr)

Halle: 585 keu2, durchschnittlich 117 keu2 pro EinradfahrerIn Platz. Höhe: 3-Meter-Giraffen-kompatibel. Hell, KALT, Parkettboden, Stufen für den Sprung zur Artistenkarriere (Hals- und Beinbruch!), Sprossenwand und Heizkörperverkleidung als Anhaltemöglichkeit, Kletterstangen.

  Garderobe Julius-Meinl-Gasse
Umfeld: Garderobe mit malerischem Blick auf den Turnsaal (Galerie), Duschmöglichkeit, WC direkt daneben, Wasser(trink-)möglichkeit am blödsinnigsten Wasserhahn Österreichs (das Wasser trifft immer gerade auf den Waschbeckenrand).

Atmosphäre: Du betrittst die Schule und wirst von einem gestrengen Schulwart mit der Tatsache konfrontiert, dass Reifenspuren in diesem Schulhaus nicht als dekorativ angesehen werden. Wer sich in den nächsten drei Stunden nicht mit einem Putzlappen in der Hand im Gang sehen möchte, sollte sein Einrad als Balalaika tarnen.
Im Turnsaal selbst herrscht konzentrierte Stimmung. Lernfaktor und Plauderfaktor verhalten sich indirekt proportional: Das Plaudern beschränkt sich v. a. auf das Austauschen von Tricks und Tipps, die man gerne annimmt, denn in den Übungspausen herrscht ohnedies Erfrierungsgefahr. Essen ist nicht nur verboten, sondern wird auch nicht praktiziert. Plauderfaktor daher auch aus diesem Grund niedrig. Jongliert wird nicht, außer am Einrad oder auf Helmuts Balancekugel.
Ab 20 Uhr wird friedliches Publikum von Einradhockeyrowdies in die Garderobe verdrängt. Durch Verhandlungsgeschick sind aber Kompromisse erzielbar. Zum Leidwesen der Spielfreudigen gibt es keine Basketballkörbe (wie schade!).
Wer außerdem seinen Glückstag hat, kann oberarmmuskelmesswütige Jungs beim Erklimmen der Kletterstangen oder beim Hula-Hoop-Contest ("Hals-Bauch-Po") beobachten.

Bonus: gerade die richtige Raumtemperatur für Eisbären und Pinguine

Malus: Ab 6 Leuten ist selbst das Hinterrad ein Rad zu viel. Zu klein!!!

Verkehrsanbindung: 43, 44, S45

Kulinarische Lage: Gelbmann (gutbürgerliches Vorstadtlokal) oder Rockbeisl mit jonglierfreudigem Kellner, Chinese (selten frequentiert)

Wertung: 2-3


4. Das Solojonglage- bzw. Akrobatik-Treff: Turnsaal VS Novaragasse
 
Novarag. 30, 1020 Wien (Do. 18-21 Uhr Jongliertreff, Di. Akrobatiktreff)

Halle: Fläche: 447 keu2 unterteilt mit breitem Durchgang, Platz pro Jongleur/se ca. 45 keu2 (Donnerstag), pro ArtistIn 447 keu2 (Dienstag). Höhe: Triples im Tempojonglagestil, sonst Doubles, daher: Höhenentwicklung der Jonglage limitiert.

Kaa balanciert

Die Wandbemalung ist zwar wunderhübsch, lenkt aber doch ab, und irgendwann sind einem Mogli und seine Freunde schon seeeeeehr vertraut.
Licht: schlecht, Neonbalken ständig im Blickfeld (graue Decke), Sprossenwand, Schlappseil aufhängbar (hinterer Teil, je nach Frequentierung)

  Garderobe Novaragasse
Umfeld: Garderobe miefig und eng mit besonders hohem Käsefaktor (Sockenverwechslungsgefahr!, siehe Tick Nr.1), Trinkmöglichkeit nur am WC, dieses präsentiert sich dafür neuwertig mit attraktiver Tür im modischen Aufzugsdesign. Keine Duschmöglichkeit.

Atmosphäre: Selbst zu früh Kommenden sperrt der unerreicht netteste Schulwart Wiens gerne die Tür zum "Turnzimmer" auf. Weitere Neuankömmlinge kündigt die Türglocke an, neugierige im Saal verbliebene Geister werden aber oft enttäuscht, wenn nur jemand vom Klo zurückkommt oder einfach den Saal verlässt. Der Plauderfaktor verhält sich direkt proportional zu den Widrigkeitsfaktoren der Jonglage, daher: hoch. Langbänke mit weicher Lehne unterstützen dies.
Laute Requisiten (Shaker-Cups) werden in die Garderobe verbannt.

Bonus: Geeignet v. a. für Contactjuggling und Akrobatik, trotzdem dienstags sehr schlecht besucht. Schade, der Schulwart ist so nett!

Malus: Geeignet v.a. für Contactjuggling und Akrobatik. Schade, der Schulwart ist so nett!

Verkehrsanbindung: U1, 5, 21, N, O, S1, S2, S3, S7

Kulinarische Lage: Der nette Türke mit der vorderzahnlosen Schwiegermutter, dem dubiosen Hinterzimmer und den griechischen Heile-Welt-Postern hat leider zugesperrt, dafür gibt's eine passable Pizzeria in der Zirkusgasse. Manche zieht es ins Tacheles, auch der Sperlhof befindet sich für einen verspielten Abendausklang in Reichweite.

Wertung: 3


5. Das Gesellschaftsereignis: Großer und Mittlerer Initiativraum im WUK
 
Währingerstraße 59, Stiege 5, 1090 Wien (So. 15 - 21 Uhr, Beitrag 15 öS)

Halle: Zwei Räume: 371 keu2 und 169 keu2, im Schnitt 21 keu2 pro Jongleur/se Platz. Höhe selbst für exzessive Ringjonglage geeignet, Parkettboden eher dreckig. Große Fenster, die ein paar Raucher dazu verleiten, ihrer Sucht in der Halle nachzugehen, wenn ihnen der Gang draußen zu kalt ist. Türe schließt schlecht (Zugluft!). Zweiter Raum mit TrinkwasserMÖGLICHkeit (Zufallsprinzip), immer stickig, bei Lüftung: immer zu kalt.
Licht: okay (Spots ausschaltbar, bietet Stoff für zahlreiche technische Detaildiskussionen), Heizung regulierbar! Mobiliar: ein geklebter Kleiderständer und ein Tisch im Hinterzimmer

  Keulenhaken
Umfeld: keine Garderobe, keine Duschmöglichkeit, keine Sprossenwände, hoher Scherbenfaktor (Fenster bzw. Glastür im zweiten Raum), kein Schulwart, kein Mistkübel, daher Orangenschalen wieder mitnehmen! WC meist papierlos, aber immerhin absperrbar. Rhönrad- und passingerprobter (Ausweichmöglichkeit!) Gang. Wer's eilig hat fährt mit dem Einrad aufs Klo.

Atmosphäre: zwischen Zirkusschule und Kaffeehaus. Sehr gut besucht bis voll (ab 16.00h), nur bei schwacher Frequenz Einradmöglichkeit.
Plauderfaktor: sehr hoch (Jause mitbringen!).
Nervtötende WUK-Kinder flitzen mit Ping-Pong-Bällen durch die Gegend, nette WUK-Kinder bewachen unsere Jonglierbeitragskassa oder heben die Requisiten auf.
Laute Requisiten (Shaker-Cups) werden in den Nebenraum verbannt (mit den Ping-Pong-Kindern).
Fazit: DAS klassische Jongliertreffen, das den Neigungen der Wiesentreffenfans am ehesten entspricht: Hier wird hemmungslos gejausnet, werden Pizze geteilt, wird geplaudert und der neueste Tratsch verbreitet. Hohe Jonglierkinderfreundlichkeit: Irgendwer sitzt sicher rum und füttert dein Kind mit Soletti.

Bonus: das gesamte Winterhalbjahr ohne Rücksicht auf Ferien oder Feiertage jeden Sonntag geöffnet! 6 Stunden Sonntags-Jonglierpicknick im Warmen!

Malus: Manchmal gibt es Feste, die Spuren hinterlassen, uns durch die Vorbereitungen stören oder sogar einen Sonntag ausfallen lassen. Ab ca. 17.30 oft voll und laut!

Verkehrsanbindung: U6, 5, 33, 37, 38, 40, 41, 42

Kulinarische Lage: Mitnehmpizza gegenüber für während des Treffens, Crêperie sonntags nicht mehr geöffnet, aber das Zuckerlgeschäft hat bis 20 Uhr auf. Weiters für zwischendurch: Stattbeisl im WUK (Melange UND Kuchen um 38 öS!).
Nach dem Treffen gehen die einen zum Lechner (geräumig aber stickig, Leberkäscordonbleu, Bierwärmer), die anderen zum Perser (oft voll, Bakhlava, Hot Rolls). Zu Beginn der WUK - Saison bzw. nach längerer Szenetrennung und damit verbundener Wiedersehensfreude geht man zum Lechner.

Wertung: 2



[1] Anm. d. Redaktion jonglieren.at: Tick, die Zeitung von Artis-Tick, in der dieser Ar-TICK-el erschienen ist, bedient sich eigenstän-TICK-er Rechtschreibregeln. Insbesondere wird dem Ästhe-TICK-Prinzip der Rechtschreibung ("Vermeide eine verwirrende Schriftop-TICK") geringere Wer-TICK-keit beigemessen als dem Seman-TICK-Prinzip ("Hebe für den Leser wich-TICK-e Textstellen hervor").

[2] Anm. d. Redaktion jonglieren.at: Stand 2000. Welche der besprochenen Hallentreffen es derzeit noch gibt bzw. welche dazugekommen sind, ist der Jongliertreffen-Terminseite zu entnehmen.

[3] Keulenlänge, Einheitenzeichen keu, Längeneinheit nach IJA-Norm, definiert als die Länge der Strecke von Top zu Knob der Karlsruher Urkeule. 1 keu entspricht 0,52 m.



Lisi Gräf (Wien, E-Mail: lisi [AT] diekeulquappen . at), Beruf nach eigener Angabe: u. a. "Keulquappe", was sowohl auf ihr bevorzugtes Jonglier-, Passing- und Swinging-Requisit hinweist als auch auf ihre Arbeit als Artistin im Duo Die Keulquappen. Mitarbeit in der Tick-Redaktion, seit 1998 Vorstandsmitglied des Vereins Artis-Tick, der u. a. die Wiener Hallen-Jongliertreffen organisiert.
Jan Mateovics, Jongleur, Einradfahrer und Jojospieler. Vorstandsmitglied von Artis-Tick seit Vereinsgründung (1996), guter Geist (soll heißen: erledigt ungeliebte Organisationsjobs) bezüglich Jongliertreffen, Tick-Produktion und anderer Aktivitäten des Vereins.
Weitere Beiträge auf den Webseiten von jonglieren.at: siehe: Index: Gräf, Lisi bzw. Index: Mateovics, Jan

Alle Rechte verbleiben bei den Urhebern. Veröffentlicht mit deren Einverständnis und mit freundlicher Genehmigung von Artis-Tick. Mai 2002.