Star oder Clochard
  jonglieren.at: Spielen...: ... für Publikum: Star oder Clochard

  Roman Kellner

  Martin Hammer: Fotos

  aus:
    Tick. Die Zeitung von Artis-Tick, Nr. 13 (Frühling 2000), pp 4-6

         
Star oder Clochard? Sportler? Künstler? Kiffende Hippies mit lustigen Hüten? Wer sind wir? Warum sperrt man die Kinder weg, wenn wir in die Stadt kommen?

Star oder Clochard?

Szene 1: Der Biologiestudent Martin Sch. beantragt ein Stipendium für seine Diplomarbeit. Korrekterweise führt er in dem Antrag als Nebenverdienst Stelzengehen, Jonglieren und Kinderanimation an. Kurz darauf fragt der Professor, der den Antrag bearbeitet, Martins Betreuer in einem Mail: "Finden Sie es korrekt, daß jemand Geld für eine wissenschaftliche Arbeit bekommt, der sich nebenbei als Gaukler betätigt?"

Szene 2: Jongliershow bei Hewlett Packard. Nach dem Auftritt sollen sich die beiden Jongleusen, beide Studentinnen, noch ein wenig unter die internationalen Gäste mischen. Die Veranstalterin fragt unsicher: "Können Sie ein bißchen Englisch?"

Szene 3: Auftritt am Graben. Die Angestellte einer angrenzenden Galerie ist mit den Jongleuren gut befreundet und stellt sich daher eine Zeit lang dazu. Als sie in das Geschäft zurückkehrt, wird sie von der Galerie-Besitzerin entsetzt gefragt: "Kennen Sie diese Gaukler?"

Szene 4: Irgendwo. Irgendwann. Jederzeit wiederholbar. Die Frage: "Jonglieren? Warum machst Du das?"

Nur einige willkürliche Beispiele. Es ließen sich noch viele weitere anhängen, die zeigen, daß Fremd- und Selbstbild auseinanderfallen, daß der Kunst des Jonglieren etwas Anrüchiges anhaftet.

  Star oder Clochard?
Ich bin Jongleur. Ich liebe es. Aber ich bin es leid, mich dafür rechtfertigen zu müssen. Man akzeptiert Squash und Schwimmen, Laufen und Schach, Kegeln und Radfahren. Sogar Fußball. Nur Jonglieren scheint etwas zu sein, das erklärt werden muß, das Argwohn hervorruft. Diese Skepsis ist tief in der Gesellschaft verankert. So tief, daß sie auch in der Alltagssprache ihren Ausdruck findet. Wenn ein Finanzminister "mit Zahlen jongliert", soll das selten seine Kompetenz unterstreichen. "Finanzjongleur Rosenstingel" hieß es in allen Medien, als die Drops des FPÖ-Politikers aufflogen. "Was für ein Circus!" ruft man aus, wenn ein Chaos gemeint ist. Und auch "Mach keinen Circus" gereicht uns nicht zur Ehre.

Was ist los mit uns? Was ist los mit den anderen?

Es liegt nahe, die Ursache für die Ablehnung circensischer Künste in der Geschichte zu suchen. Das Wort Jongleur stammt vom lateinischen "ioculator" ab, der Spaßmacher. In Meyers Lexikon wird das Wort mit "Geschicklichkeitskünstler" definiert. Es ist eine uralte und weltweit verbreitete Kunst. Die ältesten Nachweise datieren auf die Zeit 2000 v. Chr. Wandmalereien aus der mittleren Ägyptischen Dynastie zeigen jonglierende Frauen. Der Kontext, in dem Jongleure auftraten, änderte sich über all die Gesellschaften und Zeiten, doch eines blieb meist gleich: Jongleure waren Außenseiter. "Obwohl es eine populäre Form der Unterhaltung war, wurden die Auftretenden selbst oft gesellschaftlich nicht akzeptiert", schreibt Karl-Heinz Ziethen.

Das Bild, dem wir offenbar das heutige Image der Jongleure zu verdanken haben, ist jenes der fahrenden Gaukler. Im Mittelalter und in nachfolgenden Epochen verkörperten sie Bader, Zauberer, Geschichtenerzähler und Artisten oft in einem. Die Menschen strömten zu ihnen, wenn sie in die Stadt kamen, doch sie mißtrauten den Fremden auch.

Gerhard Eberstaller begründet das so: "Das Umherziehen, sonach also in keinem Hause - als Besitzsymbol - zu wohnen, und das Vollbringen einer an sich jedenfalls nicht als notwendig angesehenen Tätigkeit waren sicher zwei wichtige Momente, die die Fahrenden jahrhundertelang suspekt erscheinen hatten lassen."

Inzwischen sind die Jongleure seßhaft geworden, die meisten jedenfalls, doch ihre Tätigkeit ist nach wie vor "nicht notwendig". Ist es das? Ist das der Grund für die Geringschätzung? Ist die Tradition der Fahrenden, die oft mit Bettlern und Dieben in einen Topf geworfen wurden, und die lange Zeit als vogelfrei galten, der Grund, warum ich mein Hobby sogar den eigenen Verwandten gegenüber verteidigen muß?

Star oder Clochard?
 
Es gibt noch einen Grund, weshalb Jongleuren mit Argwohn begegnet wird. Ihre Tätigkeit ist nicht einordenbar. Sie tun etwas Seltsames und sie tun es mitunter auf der Straße. Das hat etwas Anarchistisches, etwas Bedrohliches, etwas Unordentliches.

Vielleicht ist das Bild, das hier entworfen wird, ja auch zu düster. Es gibt schließlich auch die anerkannten Jongleure, jene, die es geschafft haben. Ein Anthony Gatto braucht sich um Geld und Ansehen keine Sorgen zu machen. Hier wird auch akzeptiert, daß Kunst geboten wird. O. k. Gatto ist ein schlechtes Beispiel, nehmen wir Michael Moschen. Er macht Kunst. Doch wird uns das zugebilligt? Wird akzeptiert, daß "Himmel und Hölle" [*] Kunst ist? Oder werden Jongleure, wenn nicht ausschließlich als Sportler, so als Animateure gesehen. "Geht's ein bißchen herum und unterhaltet's die Leute", heißt es bei Auftraggebern oft ungeachtet der Angebote, fertige Nummern zu präsentieren.

Und was lernen wir jetzt daraus? Was soll man dem entgegensetzen?

Nur ein Vorschlag: Gehen wir davon aus, daß Nicht-Jongleure bloß neidig sind. Ich kann es nicht nachweisen, aber ich bin mir ganz, ganz sicher, daß es im Leben von Jongleuren viel öfter solche Momente gibt, um die es im Leben eigentlich geht. Was wissen Menschen, die nicht einmal drei Bälle in der Luft halten können, schon von dem Augenblick, in dem ein Jonglier-Muster zum ersten mal steht, in dem einem der Applaus des Publikums gilt oder in dem man zum ersten mal wahrnimmt, daß die Jonglierszene viel mehr ist als eine Interessensgemeinschaft.


Zitierte Literatur:
Eberstaller, Gerhard: Zirkus und Varieté in Wien. Wien/München 1974.
Ziethen, Karl-Heinz/Allen, Andrew: Juggling. The Art and its Artists. Berlin 1985.



[*] Anm. d. Redaktion jonglieren.at: Himmel und Hölle ist der Titel einer Open Stage-Veranstaltungsserie in Wien, die seit 1998 vom Verein Artis-Tick organisiert wird.



Roman Kellner (Wien, E-Mail: roman [AT] diekeulquappen . at) ist Jongleur und beschäftigt sich auch mit anderen Varietékünsten. Männliche Hälfte des ArtistInnenduos Die Keulquappen, beruflich als Journalist für Greenpeace Österreich tätig. Redakteur und Verfasser zahlreicher Artikel für das österreichische Jongliermagazin Tick.
Martin Hammer (Wien) liebt Jonglieren (vor allem mit dem Devilstick) und Fotografieren und "schafft es manchmal sogar, beides zu verbinden" (O-Ton Martin).
Weitere Beiträge auf den Webseiten von jonglieren.at: siehe: Index: Kellner, Roman bzw. Index: Hammer, Martin

Alle Rechte verbleiben bei Autor bzw. Fotograf. Veröffentlicht mit deren Einverständnis und mit freundlicher Genehmigung von Artis-Tick. Jänner 2002.