Gelächelt wird nicht
  jonglieren.at: Spielen...: ... um des Spielens willen: Gelächelt wird nicht

  Versuch einer Ästhetik des Jonglierens um seiner selbst willen

  Martin Hammer: Fotos

  Wolfgang Schebeczek: Text

  aus:
    Kaskade - Europäische Jonglierzeitschrift No. 46 (2/1997), pp 30-31
         


Türkenschanzpark



Backcross



Hermannpark


Jonglieren als Selbstzweck, jonglieren an und für sich. "An sich" will heißen: ohne theatralisches Beiwerk. Spiel, aber kein Schauspiel. Spiel ohne Schau. Die Bühne erübrigt sich, die Kulissen sind echt. Keine Scheinwerfer setzen Akzente, kein Choreograph oktroyiert die Bewegung, keine Musik zwingt ihren Rhythmus auf. Das Licht ist wie es ist. Die nicht am Jonglierprozeß beteiligten Körperteile haben frei. Und Keulen und Bälle machen selber die Begleitmusik. (Stereotyp, stets jedoch perfekt synchronisiert.) Schminke und Kostüme sind obsolet. Wozu auch verkleiden? Jeder/jede ist er/sie selbst. Kein Skript schreibt den nächsten Trick vor. Keine Dramaturgie erfordert Anfang, Mitte und Ende. Höhepunkte sind nicht gefragt. Alles darf fließen wie es will. Kaskade, Fontäne und Shower werden hier ihrem ursprünglichen Wortsinn gerecht. Fließen. Wie es will ... oder auch nicht will. Denn: Der Drop ist nicht mit Angst besetzt, Pannen dürfen passieren. (Sind es überhaupt "Pannen"?) Grenzen ausloten, experimentieren: Alles ist erlaubt. Wiederholbarkeit ist kein Kriterium.

Das Gleichgewicht der fliegenden Gegenstände bleibt freilich zerbrechlich. Aber: Der erforderliche Ernst der Konzentration muß nicht verborgen werden. Kein einstudiertes Bühnenlächeln muß über ihn hinwegtäuschen, kein Seitenblick muß suggerieren: "Alles unter Kontrolle!". Gelächelt wird nicht. Gelacht schon. Aus Freude über den erstmals gelungenen Trick; aus Lust am Chaos; oder einfach, um den Ernst des Spiels wieder abzuschütteln. Die Augen sind frei, sie dürfen der Jonglage folgen oder nach innen schauen. Blickkontakt mit dem Publikum ist abgesagt. Denn: Es gibt kein Publikum, jonglieren "für sich" ist per definitionem nicht "publik". Zuseher mag es zwar fallweise geben, jedoch müssen sie sich entscheiden: Entweder in Gedanken mitjonglieren, dann sind sie Teil des Ganzen. Oder: draußen bleiben; der verstohlene Blick verrät den Voyeur.

Gelungener Trick

Nichts gegen die Bühnenkunst. Wir brauchen die Brunns und Ignatows. Nur sie können die Sehnsucht nach Perfektion und ausgewogener Balance stillen. Und ich weiß: Feuer und perfekte Symmetrie erhält ein Brilliant erst durch kunstvolles Schleifen. Aber - um zur Sache zu kommen: Auch der Rohdiamant kann schön sein. Und ebenso ein gewöhnlicher Stein. Er bezieht seine Schönheit aus der Freiheit, nicht gefallen zu müssen.



Martin Hammer (Wien) liebt Jonglieren (vor allem mit dem Devilstick) und Fotografieren und "schafft es manchmal sogar, beides zu verbinden" (O-Ton Martin). Die hier reproduzierten Bilder wurden bei Jongliertreffen im Herrmannpark und im Türkenschanzpark (Wien) aufgenommen.
Wolfgang Schebeczek (Wien) gehört als leidenschaftlicher Nicht-Performer zur in Europa selter werdenden Spezies von JongleurInnen, die das Jonglieren "an und für sich" betreiben. Mitarbeit in der Redaktion von Kaskade seit 1993.
Fotos und Text wurden unter dem Titel "For its own sake/Gelächelt wird nicht" in Kaskade No. 46 veröffentlicht. Weitere Beiträge auf den Webseiten von jonglieren.at: siehe: Index: Hammer, Martin bzw. Index: Schebeczek, Wolfgang

Alle Rechte verbleiben bei Fotograf bzw. Autor. Veröffentlicht mit deren Einverständnis und mit freundlicher Genehmigung von Kaskade - Europäische Jonglierzeitschrift. Dezember 2001.