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  jonglieren.at: Was gibts Neues?: Nachrichtenarchiv: Februar 2022
   

Februar 2022
 
Wir trauern um Janosch
 
Andreas "Janosch" Slama, Urgestein der Wiener Jonglierszene, ist am 12. Februar aus seinem Mittagsschlaf nicht mehr aufgewacht. Im 62. Lebensjahr und völlig unerwartet.

Jüngere JongleurInnen kennen ihn vielleicht nicht oder nur aus Erzählungen und manchen ältersemestrigen werden seine Alter Egos geläufiger sein als sein Familienname: Janosch Romanetto, Janosch Rabiatov, Clark, die alte Zirkusratte oder schlicht: Herr Zirkusdirektor. Sein Wirken in der Szene der Jonglierer und Jonglösen (O-Ton Janosch) hat sich aber nicht auf seinen "Circus Rabiat" beschränkt, in dessen Kontext diese Identitäten entstanden sind.

1996 ist er mit seiner Lebenspartnerin Doris im Fortgeschrittenen-Jonglierkurs an der VHS Brigittenau auf- und dann sehr rasch in die Wiener Jonglierszene eingetaucht und hat dort gleich kräftig mitangepackt. Der Verein Artis-Tick ist damals gegründet worden, ein Jahr später die Zeitung "Tick". Doris und Janosch haben die wichtigen Aufgaben Zeitungskoordination, grafische Gestaltung und Layout übernommen. 150 Seiten sind unter ihrer tatkräftigen Mithilfe bis inklusive Tick Nr. 9 fabriziert worden. Nach ihrem Ausscheiden aus der Redaktion hat Janosch seinen Fokus mehr auf die Kremser Jonglierwerkstatt gerichtet, die er durch viele Jahre hindurch mit Rat, Tat (z. B. dem minutiös vorbereiteten Festivalbuffet beim 5. Kremser Jongliertreffen) und Förderung der ganz jungen Jongleure, die ihre ersten Schritte auf der Bühne unternahmen, unterstützt hat. Für Tick hat er aber weiterhin Artikel geschrieben und Illustrationen beigesteuert. Er war ein begnadeter Zeichner und das schon lange, bevor er auf das Jonglieren gestoßen ist.

Schon in der Klosterschule hat er – wie er gern erzählte – für seine Mitschüler zum Lohn von zehn Stollwerck nackte Engel von der Kirchendecke abgemalt. In der Wiener Straßenbahnzeitung waren lange Zeit hindurch seine Illustrationen zur Kolumne "Matscho" von Wolfgang Kubasta abgedruckt und seine beruflichen Tätigkeiten hatten – mit Ausnahme seiner Orgelbauerlehrzeit und einer kurzen Phase als Kontrabassist danach – stets mit Zeichnen und Malerei zu tun. In den letzten Jahren hat er unzählige Comics für "Big Bang" geschaffen, einem Physikbuchprojekt von Martin Apolin (ebenfalls Urgestein der Wiener Jonglierszene), das den Lehrstoff humorvoll aufbereiten soll. Auch bei der Sonnenuhr auf der Fassade des Rathauses von Hausbrunn und der Bemalung von Weinviertler Holzsärgen hat er den Pinsel geführt.

Zu den Themen Jonglieren und Zirkus gibt es unzählige Comics und Illustrationen von ihm. Von den in Tick publizierten war schon die Rede, aber auch auf jonglieren.at wird man fündig. Weiters stammen von ihm die Grafik eines Werbeflugbatts für die Jonglierkurse der VHS Brigittenau – ein Einstandsgeschenk, als er seinerzeit den Kurs besucht hat –, das Inserat, das jahrelang in diversen Jonglierzeitschriften den Wiener Jonglierladen Bumfidl beworben hat, Logo und Dekorationen des Wiener Jonglierwinters 2002 und natürliche alle Illustrationen, die es je auf der Webseite des Circus Rabiat gegeben hat. Ein Highlight war seine Comics-Serie "Rastelli + Rastelli", die Abenteuer und Verstrickungen zweier jonglierender Spinnen, die am Beginn dieses Jahrtausends jeden Sonntag um 0 Uhr im Internet veröffentlicht wurden. Die ersten 44 dieser Comics sind auch gedruckt erschienen.

Als Jongleur war Janosch vor allem Keulen und Fackeln zugetan, dem Donnerstag-Feuertreff am Wiener Donaukanal hat er jedenfalls zu einer Blüte verholfen. Der Artistenproberaum "Schinakel" – ebenfalls am Donaukanal gelegen – ist auch seiner Initiative und seinem tatkräftigen Anpacken zu verdanken. Von 2001 bis 2007 hat Janosch an den Volkshochschulen Alsergrund und Josefstadt Jonglierkurse abgehalten. Den nachhaltigsten Eindruck in der Jonglier- und Artistikszene hat aber wohl sein "Circus Rabiat" hinterlassen.

Wie der Name schon andeutet: ein sinistres Setting, das auf www.circus-rabiat.com breit ausgemalt und laufend ausgeschmückt wurde: "Das Zelt des Circus Rabiat steht nicht auf einer Wiese. Keine buntlackierten Wohnwagen, keine fröhlich-verschwitzten Akrobaten, die Quarterboys über den sägemehlbestreuten Boden schleppen – nichts. Drei Koffer auf einem Bahnsteig im Morgengrauen, irgendwo auf der Strecke Daugavpils – Riga; ein schneller Händedruck in der staatlichen Branntweinausschank; Fackelschein, der sich auf roten Lippen spiegelt, im Schnee am Flußufer, das ist der Circus Rabiat." Dementsprechend haben auf der Bühne – wie es Janosch in einem Posting in der Open Page von jonglieren.at einmal zusammengefasst hat – rabiate Kerle randaliert, Kettensägen und Revolver auf die Bühne geschleppt, gedroht, geschrien, Erdäpfel ins Publikum geworfen, falsche Bärte getragen ...

So zumindest der Plot, aber bereits die falschen Bärte deuten an, dass dieser Anarchozirkus zumeist umwerfend komisch war. Begonnen hatte es mit den "Romanettos": 3, 4, ... angeblich aus Lettland stammende Männer, bekleidet mit Anzug, Krawatte und Hut, mit Koffern und natürlich den (sichtbar) falschen Bärten kommen auf die Bühne. Nach je nach Aufführung wechselndem Vorspiel setzt die "60 Sekunden dauernde, berühmte Romanettomusik" ein, während der die "Romanettos" eine Unzahl, mindestens aber 100 Jonglierbälle (natürlich nicht gleichzeitig) orgiastisch jonglieren, "bis Bühne und Parkett von Bällen übersät sind und die Romanettos unter dröhnendem Applaus abgehen" wie es nachher stets gleichlautend auf circus-rabiat.com berichtet wurde. Zweifellos hat die erste Aufführung das Publikum etwas ratlos hinterlassen, aber nachdem die Romanettos immer mehr Open Stages, Public Shows, ein Jollyballturnier und das Artis-Tick-Weihnachtsfest "Merry Mills Mess" infiltriert haben, waren sie bald heftig akklamierter Bestandteil der Jonglierevents.

Ab Mai 2000 ist der Spuk wieder von der Bühne verschwunden. Laut dem im Internet erscheinenden "Report Rabiat" sind alle Romanettos beim Schweinefischen ertrunken: "Tragischer Badeunfall, oder endlich die Abrechnung für all die begangenen Schandtaten, die Bühnen der Varietés sind um eine Störung ärmer." Neben unzähligen gar nicht so rabiaten Feuershows für "normales" Publikum war es jedoch bald Zeit für neue "Schandtaten". Herausgebildet hatte sich nämlich eine Art "rabiate Doppelconference" zwischen Janosch Rabiatov und "Superbernhard", gewissermaßen ein artistisches Pendant zum Duo Grissemann & Stermann. Gut in Erinnerung ist noch ihre "Produktpräsentation" des neuen Jonglierroboters "Millenium Jongleur Edition 2001 Krems Special" beim 4. Kremser Jongliertreffen. Auch als Moderatorenduo waren sie im Einsatz, z. B. bei einem der Varietéabende "Himmel & Hölle" und bei Jonglierfestival-Shows in Krems und Klagenfurt.

Janoschs "rabiates" Aufführungskonzept hat sicher auch in der Jonglierszene polarisiert. Auch außerhalb der Bühne war er ein durchaus streitbarer Geselle und ein Disziplin einfordernder Mensch. Aber wenn auf jemanden die Redewendung von der harten Schale und dem weichen Kern überhaupt gepasst hat, dann ist es – meiner Meinung nach – Janosch gewesen. Ich könnte es nicht besser ausdrücken als er selbst im Nachspann des Booklets "Rastelli + Rastelli":

"Wenn im Circus Rabiat einmal nicht hart getrunken, wild jongliert und furios herumgetobt wird – wenn sich die Rabiatovs zurückziehen auf ihr Landgut inmitten der Rübenfelder, und sich besinnen, dann kommen unter den zerfetzten Kostümen sensible, literarische Menschen zum Vorschein. Und dann schreiben diese menschenverachtenden Randalierer wunderbare Geschichten, zeichnen mit feinem Strich so schöne Tiere, das selbst den übelsten Zweiflern klar wird: Es gibt eine bessere Welt, irgendwo."

Seit mehr als 10 Jahren haben sich Janosch und Doris zurückgezogen – nicht in lettische Rübenfelder, sondern ins Weinviertel. Seither habe ich Janosch zusehends aus den Augen verloren. Erst jetzt merke ich, dass ich ihn sehr vermisse.

Wolfgang Schebeczek

wsch 21.2.2022