Re: Physik des Diabolos


[ Weitere Antworten ] [ Jonglieren.at: Open Page ]

Verfasst von Wolfgang Schebeczek am 31. Oktober 2004 um 16:30:22:

Als Antwort auf: Physik des Diabolos verfasst von Vladimir am 22. Oktober 2004 um 15:03:22:

Vladimir schrieb:

: [...] habe beschlossen, in Physik ein Referat über die
: Physik des Diabolos zu halten.

Löblich, löblich. Aber sei gewarnt: Du lässt dich auf eine komplizierte Materie ein.

: Jetzt meine Fragen:
: Was ist ein Drehmoment und was ist der Drehimpuls?

Hmm, ... wenn dir diese Begriffe nichts sagen, hast du noch einen beschwerlichen Weg vor dir. Der Drehimpuls ist eine einigermaßen unintuitive Angelegenheit und die mit ihm zusammenhängenden Gesetzmäßigkeiten widersprechen oft dem Hausverstand. Dass man über eine jonglierphysikalische Frage, die Drehimpulsfragen involviert, auch mit Hochschulphysikkenntnissen leicht scheitern kann (und zwar komplett), hat z. B. vor einiger Zeit eine Diskussion in der deutschen Jonglier-Maillist über das Flattern von Jonglierringen gezeigt. S. http://www.jugglink.de/bestOfMailing/ringePhysik.txt. (Ich erwähne das insbesondere auch, weil du in meiner Antwort (gleicher Link, 2. Mail) auch mehrere Hinweise auf die Diabolophysik findest.) An der unschuldigen Frage eines fiktiven Sprungartisten, die ich dort am Ende aufwerfe, sind übrigens im Rahmen einer Umfrage Ende der 70er-Jahre sogar 33 von 59 Profiphysikern gescheitert. [1]

Ich würde dir daher unbedingt empfehlen, dich mit deinem/r PhysiklehrerIn zu beraten. Falls ihm/r "Diabolo" nichts sagt, hilft vielleicht Folgendes: Das Diabolo ist in der Sprechweise der Physiker ein (im Idealfall annähernd) kräftefreier, symmetrischer Kreisel. Das relevante Teilgebiet der Physik, über das du Bescheid wissen willst, ist die Kreiselphysik, ein Abschnitt (und zwar der Löwenanteil) der sogenannten klassischen Mechanik des starren Körpers. Physikalische Begriffe, die außer den von dir bereits erwähnten (Drehimpuls, Drehmoment), eine wichtige Rolle spielen: Trägheitsmoment, Hauptträgheitsmomente, Hauptträgheitsachsen, Drehimpulssatz, Satz vom gleichsinnigen Parallelismus der Drehachsen, Präzessions- und Nutationsbewegungen. Ein bisschen solltest du auch über die Reibung (Antreiben!) Bescheid wissen.

Das Problem ist, dass die meisten dieser Begriffe schon zur bloßen präzisen Formulierung höhere Mathematik voraussetzen. Das heißt nicht, dass man sich ihnen nicht auch mit einfacheren Mitteln annähern kann (z. B. mit der saloppen (aber nicht immer richtigen) Formulierung des Drehimpulssatzes: "Ein Kreisel weicht im rechten Winkel zur angewandten Kraft aus"). Aber für solche Simplifizierungen ist eben der Lehrer gefragt, der genau dein Wissensniveau kennt. Auch werden diese vereinfachten Modellvorstellungen nicht dafür ausreichen, dass du dir deine praktischen Diaboloerfahrungen physikalisch zusammenreimen kannst. Wenn man mit Hochschulphysik bei Kreiseln leicht danebentappen kann, dann natürlich erst recht mit simplifizierten Modellen. Hier bist du also wieder auf die Hilfe deineR LehrerIn angewiesen.

Soweit ich sehe, sind (zumindest die schnell rauszufindenden) Internetressourcen zu dem Thema dürftig, insbesondere solche, die an deinem Wissensniveau ansetzen. Sogar die Wikipedia, die sonst auf naturwissenschaftlichem Gebiet relativ gut beschlagen ist, bietet hier sehr wenig. Als Buch kommt für dich am ehesten ein Schullehrbuch in Frage, aber da du mit 12 erst ziemlich am Anfang deiner Physikausbildung stehst, kann es sein, dass du auch von diesen Büchern überfordert bist. Am besten wäre, wenn dir deinE PhysikehrerIn Zugang zu einem Experimentierkreisel verschaffen kann, wie sie überlichweise an Schulen vorhanden sind. Mit ihm kannst du das Verhalten eines Kreisels unter verschiedenen Bedingungen studieren, ohne auf Mathematik- oder Physikvorkenntnisse angewiesen zu sein. Es wird dir erleichtern, diese Gesetzmäßigkeiten auch beim Diabolo zu entdecken. Also einige weitere Gründe, vor allem deineN LehrerIn zu kontaktieren. Wenn du dort keine oder wenig Betreuung hast, würde ich dir von deinem Referatthema eher abraten.

Aus den genannten Gründen versuche ich hier mal gar nicht, den Drehimpuls zu erklären. Beim Drehmoment ist die Sache einfacher: Es ist sozusagen die "Drehkraft", die du brauchst, um eine Drehbewegung einzuleiten oder zu verändern, also z. B. eine Schraube wo reinzudrehen oder das Diabolo in Rotation zu versetzen. Es ist um so größer, je größer die aufgewendete Kraft ist und je länger der "Hebel"arm ist, den du dafür benützt. (Bei der Schraube: der Radius des Schraubendrehergriffs, beim Diabolo: der Radius der Diaboloachse).

: Wieso wirkt die Drehung des Diabolos stabilisierend?

Unter Stabilität kann man im Zusammenhang mit einem Kreisel verschiedene Dinge verstehen. Ich nehme an, du meinst die Tatsache, dass du ein rotierendes Diabolo unschwer auf der Schnur balancieren kannst (bzw. es auch ohne dein Zutun sein Gleichgewicht hält), während das ohne Eigenrotation des Diabolos (so gut wie) nicht möglich ist.

Eine einfache Antwort wäre:

Weil erstens ein in seinem Schwerpunkt gelagerter Kreisel, der sich um eine im Raum feste Achse dreht, das Bestreben hat, diese Drehachse beizubehalten. Und weil zweitens für eine Änderung dieses Bewegungszustands um so größere äußere Kräfte (korrekter: Drehmomente) notwendig sind, je schneller die Eigenrotation und je größer sein Trägheitsmoment (Erklärung s. unten) ist.

Allerdings ist diese Antwort in mehrerlei Hinsicht unbefriedigend. Erstens wirst du gleich fragen: Warum ist das so? Und zweitens, wieso gelingt es überhaupt relativ einfach, das Diabolo um eine feste Achse in Rotation zu versetzen; und zwar nicht irgendeine Achse, sondern um seine Symmetrieachse? Befriedigende Anworten auf diese Fragen sind nur mit einigem mathematischem Aufwand (Stichwort: Eulersche Kreiselgleichungen) zu bekommen. Diese Gleichungen zeigen übrigens auch, dass diese Stabilität nicht zwingend ist. Ein Diabolo kann ohne Veränderung seiner Masse und seines Trägheitsmoments bezüglich seiner Symmetrieachse mit ein wenig Formveränderung so umgebaut werden, dass es nicht mehr in eine stabile Rotation versetzt werden kann.

Ein Zaubermittel ist aber auch dieses mathematische Instrumentarium nicht. Ich hab mich anlässlich eines Artikels über aerodynamische Fragen beim Diabolospiel, den ich vor zehn Jahren für die Kaskade geschrieben habe, mit Diabolophysik beschäftigt. Trotz einschlägiger Vorausbildung, intensivem Studiums und einer Reihe von Experimenten habe ich für mehrere Phänomene keine befriedigende Erklärung gefunden.

: Gibt es unterschiede zwischen Formen wie |)x(| und |}x{|

Ich weiß nicht, welche Bauform du mit zweiterem meinst.

: , und wie wirken sie sich auf Beschleunigung,

Ich nehme an, du meinst die Rotationsbeschleunigung, also den Rotationsgeschwindigkeitszuwachs, den du mit einem Ruck mit der Schnur erzeugen kannst.

: Wiederstand,

Was meinst du mit Widerstand?

: Balance und Drehgeschwindigkeit aus?
: Wie wirken jene Faktoren bei underschiedlichen Größen aus?

Generell gilt in Bezug auf die Fragen, auf die du hier losgehst, dass die entscheidende Eigenschaft des Diabolos sein Trägheitsmoment um seine Symmetrieachse ist. Siehe auch die Antwort auf die nächste Frage.

: Stimmt es, das Objekte mit höherer Masse auch eine höhere Trägheit aufweisen?

Ja. Und seit Einsteins allgemeiner Relativitätstheorie sind diese Begriffe (träge Masse und schwere Masse) überhaupt identisch. Aber ich glaube, du meinst hier nicht die Trägheit, sondern das Trägheitsmoment. Es berücksichtigt nicht nur die Masse, sondern auch seine Verteilung in Bezug auf eine bestimmte Achse. Je größer die Distanz eines Massepunkts eines Körpers zu dieser Achse ist, um so größer ist sein Beitrag zum Trägheitsmoment des Körpers (in Bezug auf diese Achse). Vergleichst du Objekte mit gleicher Form und gleicher Dichteverteilung (also z. B. ein großes mit einem kleinen Diabolo gleicher Bauart), dann gilt: Größere Masse bedeutet größeres Trägheitsmoment. Aber allgemein gilt das nicht. Ein Devil stick hat - mit ein wenig Phantasie betrachtet - auch die Form eines Diabolos. Es ist ebenfalls ein drehsymmetrischer Doppelkonus, der sich in der Mitte verjüngt, und seine Masse ist mit der eines Diabolos vergleichbar. Nur ist er etwas zu schlank und zu lang geraten. Jeder Massepunkt ist relativ nahe zu seiner Symmetrieachse. Das heißt, er hat ein bedeutend geringeres Trägheitsmoment um seine Symmetrieachse als ein Diabolo.

Großes Trägheitsmoment bedeutet erstens, dass das Ding relativ schwer, d. h. mit relativ großem Kraftaufwand in Rotation zu versetzen ist, dass es zweitens relativ großer Kräfte bedarf, um diese Rotation wieder abzubremsen. Eine dritte wichtige Konsequenz eines großen Trägheitsmoment hab ich schon oben erwähnt; sie ist zu einem Gutteil verantwortlich dafür, dass man mit einem Devil stick nicht Diabolo spielen kann (zumindest nicht mit den üblichen Startmethoden). Es gibt noch mehr Kenngrößen eines Kreisels, die von seinem Trägheitsmoment abhängen. Etwas vereinfacht ausgedrückt spielen Trägheitsmoment, Rotationsgeschwindigkeit, Drehmoment und Drehimpuls bei Drehbewegungen in etwa die Rolle, die Masse, Geschwindigkeit, Kraft bzw. Impuls bei einer Translationsbewegung spielen.

Falls du Rückhalt bei deinem/r LehrerIn findest, bei deinem Thema bleibst und dich ein wenig eingearbeitet hast, kannst du dich ja hier nochmals melden. Ich kann dir dann ein paar Dinge aus der Diabolopraxis vorschlagen, die du versuchen kannst, physikalisch zu erklären. Und ein paar Experimente, die du mit deinem Diabolo anstellen kannst. Falls du das Ganze doch - weil zu schwierig - sausen lässt, kann ich dich mit der "Conclusio" trösten, mit der ich die erwähnte Drehimpulsdebatte auf der Jonglier-Maillist abgeschlossen habe: "Katzen, Trampolinspringer, Ringjongleure und Diabolospieler wissen auf ihre Art mehr vom Drehimpuls als ein Durchschnittsphysiker. Ich empfinde das durchaus als befriedigend. Es zeigt, dass Akrobatik, Jonglieren, Einradfahren etc. trotz ihres 'nur' spielerischen Charakters keine trivialen Beschaeftigungen sind. Auch nicht aus Sicht des Physikers."

wolfgang

[1] Wenn du dich für diese und andere kuriose Drehimpuls-Geschichten, die illustrieren, auf welch merkwürdigem Terrain man sich hier bewegt, interessierst: siehe meine Mail in http://www.jugglink.de/bestOfMailing/saltoPhysik.txt. (Die Physik des Diabolos wird dort allerdings nicht berührt.)


Weitere Antworten:



[ Weitere Antworten ] [ Jonglieren.at: Open Page ]