Von der Maori-Tradition zum weltweiten Trend
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  Irene Göd

  aus:
    Tick. Die Zeitung von Artis-Tick, Nr. 15-16 (Winter 2000), p 28

         
So manche Jongleusen und Jongleure fragten sich vor einiger Zeit, was die Faszination an diesen eigenartigen Schwinggeräten - Bälle an Schnüren - ausmacht. Mittlerweile sind Poi - wie sie traditionell heißen - eine Modeerscheinung innerhalb von Jonglierkreisen und darüber hinaus geworden. Das war für mich der Anlass, diesen Artikel zu schreiben und ein bisschen etwas über Herkunft und Tradition von Poi zu verbreiten. Denn auch wenn manche Leute es nicht glauben wollen, sie kommen von der anderen Seite der Erdkugel. Ihr Ursprung liegt in der Maori-Kultur Neuseelands. 'Poi' ist das Maori-Wort für 'Ball'.

Short Poi
 
Poi-Dance ist in Neuseeland weit verbreitet. Kinder lernen in der Schule den Umgang mit Poi als Teil der Maori-Kultur. Unter Maoris wird die Tradition an die Kinder, v. a. Mädchen weitergegeben, von Stamm zu Stamm verschieden, aber doch mit vielen Gemeinsamkeiten. In jeder traditionellen Performance der Maori wird dem Poi-Dance viel Platz eingeräumt. Bei den Maori werden Poi traditionell vor allem von Frauen vorgeführt, aber natürlich haben mittlerweile weltweit auch viele Männer dieses Requisit lieben gelernt.

Die Bewegungen sind ähnlich dem Keulenschwingen. Die Technik erfordert vor allem geschmeidige Finger- und Handgelenke.

Der Poi-Dance wird von Liedern begleitet, Rhythmus ist dabei besonders wichtig. Die vielen Contact-Bewegungen, v.a. bei short Poi, produzieren einen Rhythmus, der sich je nach Lied ändert. Je schneller der Rhythmus, desto lustiger ist das Lied und umgekehrt.

Es wird je nach Länge der Schnüre zwischen 'long Poi' und 'short Poi' unterschieden. Verwendung bei Performances finden meist 1-2 short Poi und bis zu 4 long Poi pro Tänzerin. Die gerade nicht in Gebrauch befindlichen Poi werden an den Rock gehängt.

Was das Ursprünglichere ist, ist nicht wirklich nachzuvollziehen. Die Meinungen und Geschichten darüber sind unterschiedlich. Eine Theorie besagt (eine Maori-Frau in Te Whakarewarewa erzählte mir dies), dass das short Poi früher verwendet wurde als das long Poi. Es wurde von Männern erfunden, um Handgelenke und Reaktion der Krieger zu trainieren. Frauen übernahmen die Poi, verlängerten die Schnur und erfanden neue Bewegungen, Tänze und Lieder dazu. Die Verwendung der Poi zum Training der Krieger wird auch in anderen Theorien als wichtiger Teil beschrieben, wobei die Länge der Schnur nicht erwähnt wird.

Das traditionelle Poi wurde aus Raupo (Typha orientalis) hergestellt. Der Ball war aus Pflanzenresten des Raupo und Flachs (Phorium tenax), umhüllt von Raupo-Blättern mit einer Schnur aus Flachs. Bei Bedarf waren die Poi mit Fransen aus Hundehaaren verziert. Die beste Lagerung war in Säcken als Schutz vor der Sonne, um die Haltbarkeit zu verlängern. Eine andere Möglichkeit der Lagerung war eine Umhüllung in der Taaniko-Technik, einer Art festes Knüpfen aus Flachs.

Weiters gab es Poi als Button Hole Poi, mit Bällen an beiden Enden, als Schmuck für die Haare oder Kleidung, oder Poi Piu, die vollständig aus Flachs waren. Heutzutage werden hauptsächlich man-made Materialien wie Plastik und Papier zur Herstellung verwendet. Sie sind länger haltbar und die Herstellung ist einfacher und nicht so langwierig.

Aus den traditionellen Poi entwickelten sich andere Formen, wie die unter Pakehas (= nicht Maori) üblichen UV-Licht tauglichen Poi mit Schwänzen und Feuerpoi. Diese sind v. a. long Poi, für einige Bewegungen wird die Schnur einfach verkürzt, die Bewegungen bleiben aber long Poi- Bewegungen, da Contact durch Schwänze oder Feuer erschwert bzw. unmöglich wird. Mehr und mehr wird Poi von der Jonglierszene übernommen und in Bewegung und Form weiterentwickelt. Der Phantasie der Jongleusen/Jongleure sind dabei keine Grenzen gesetzt, Bewegungen aus dem Keulenschwingen und Stockdrehen können mit leichten Abwandlungen für Poi übernommen werden.

Die Maori-Tradition wird nach wie vor gepflegt. Einerseits sind Konzerte und Performances für Touristen von großer Bedeutung für das Überleben von traditionellem Poi-Dance, andererseits findet auch innerhalb der verschiedenen Maori-Gruppen eine Weiterentwicklung statt. In Form von Wettbewerben ist der Ansporn gegeben, neue Lieder, neue Bewegungen, neue Choreographien zu kreieren, die in manchen Fällen von anderen Gruppen übernommen werden. Auch wenn alte Traditionen und Symbole rund um Poi verloren gegangen sind, wird der Tanz weiterentwickelt und nach wie vor steht dieser in losem Zusammenhang mit dem 'haka', dem Willkommensgruß bei Festivitäten. Die Poi-Tradition der Maori bleibt neben den Poi-Experimenten der Pakeha eigenständig bestehen.

In Jonglierkreisen ist die Verwendung von Poi v.a. bei KeulenschwingerInnen äußerst umstritten. Aber der Freiheit der Kunst sind keine Grenzen gesetzt, auch nicht in der Kunst der Verwendung verschiedener Geräte, um vielleicht ähnliche Ergebnisse zu erzielen.

Obwohl die Bewegungen beim Poi dem Keulenschwingen sehr ähnlich sind, sind sie etwas anderes, Eigenständiges. Außerdem ermöglicht die flexible Schnur beim Poi andere Muster und Bewegungsabläufe. In allen Diskussionen um Poi sollte man sich bewußt sein, dass sie als Teil einer anderen Kultur unsere Jonglierszene bereichern. Man muß sie als eigenständige Requisiten sehen, egal ob man sie mag oder nicht.



Irene Göd (Steyr/Wien, dzt. Neuseeland) hat ein Kulturanthropologiestudium absolviert und schätzt als Jongleurin vor allem manipulative Jonglierformen. Während eines mehrmonatigen Aufenthalts 1999/2000 in Neuseeland hat sie sich intensiv mit dem Poi-Schwingen und seiner Geschichte beschäftigt. Gespräche mit Maorifrauen über den Poi-Tanz sowie Literaturstudium bilden die Grundlage für obigen Artikel. Das Foto wurde von Irene Göd im Dezember 1999 bei einer Maori-Folklore-Veranstaltung in Te Whakarewarewa aufgenommen.
Weitere Artikel der Autorin auf den Webseiten von jonglieren.at: siehe: Index: Göd, Irene

Alle Rechte verbleiben bei der Autorin. Veröffentlicht mit ihrem Einverständnis und mit freundlicher Genehmigung von Artis-Tick. Februar 2002.