Was sich liebt, das passt sich
  jonglieren.at: Background: Reflexionen: Was sich liebt, das passt sich

  Lisi Gräf

  Markus Hoffmann: Grafik

  aus:
    Tick. Die Zeitung von Artis-Tick, Nr. 5 (Winter 1998), p 16

         
Ich stehe in einer idyllischen Landschaft an einem schattigen Plätzchen, das Meer rauscht sanft im Hintergrund. Mir gegenüber steht mein Passingpartner: 5-Keulen-Jongleur, schön, intelligent, anziehend, kennt sämtliche Passingmuster und -würfe, und ist noch dazu entschlossen, mit mir, ausgerechnet mit mir, sein gigantisches Können und Wissen zu teilen. Wir jonglieren in einträchtiger, harmonischer Übereinstimmung und ich träume mich bereits ins Land des 10-, 12-, 14-Keulen-Passings...

Soviel zum Ausflug in die virtuelle Passingwelt. Wer tatsächlich mit seinem (Lebens-) Partner jongliert, kann anderes erzählen. Denn: Sich ein neues Muster oder eine Keule mehr zu erarbeiten, ist schwer genug. Sich ein neues Muster oder eine Keule mehr mit jemandem zu erarbeiten, der sich auf demselben Jonglierniveau befindet, ist bedeutend schwieriger. Sich ein neues Muster oder eine Keule mehr mit jemandem zu erarbeiten, der sich auf demselben Jonglierniveau befindet UND mit dem man "zusammen" ist, führt unausweichlich in die Beziehungskrise. Und das geht so:

Er (unausgeschlafen, soeben in ein Hundewürstchen getreten) und sie (verschwitzt, rote Augen, Kontaktlinsen verloren) stehen wie besoffen auf der Jonglierwiese, die sie mit einer Unzahl Mücken und aggressiven Junikäfern teilen. Die Sonne blendet, es weht heftiger Wind.

Er: "Bitte könntest du ein bissl weiter spielen?"

Sie: "Ja, könntest du bitte ein wenig höher spielen?"

Er: "Bitte weiter!"

Sie: "Bitte höher!"

Er: "Weiter bitte!!"

Sie: "Höher bitte!!"

Er: "WEITER, WEITER!!!!!"

Sie: "Wie soll ich weiter spielen, wenn deine so schlecht kommen? Siehst du, viel zu kurz und total überdreht, total überdreht."

Er: "Danke, ich seh meine Würfe im Gegensatz zu dir. Glaubst du, deine kommen besser?"

Sie: "Nein, okay, aber jetzt konzentrieren wir uns!"

Er: "Immer wenn du UNS sagst, meinst du, ICH soll mich konzentrieren. Und außerdem geht das Muster überhaupt nicht so!"

Sie: "Sicher geht es so, ich hab das mit dem John aus Kanada auf der letzten Convention perfekt gepasst, ü-ber-haupt kein Problem!"

Er: "Jetzt soll ICH wieder schuld sein!"

Sie: "Nein, du gibst MIR immer die Schuld, du sagst das immer mit einem so vorwurfsvollen Ton, als ob ich es absichtlich machen würde!"

Er: "Spinn ich? DU kritisierst immer herum und sagst, daß du es schon gepasst hast."

Sie: "Ja, ich hab es auch schon gespielt und da waren komischerweise meine Würfe nicht immer zu nieder. Ich hab das Gefühl, wenn ich sag, du sollst weiterspielen, glaubst du mir das nicht. du nimmst überhaupt nicht ernst, was ich sage, du nimmst überhaupt nie irgendwas ernst, was ich sage, du nimmst mich überhaupt nicht ernst."

Er: "Du kritisierst immer nur an mir rum. du kritisierst überhaupt immer nur an mir rum."

Sie: "Du liebst mich nicht mehr."

Er: "Du liebst mich nicht mehr."

Sie: ...

Er: ...
Was sich liebt, das passt sich.



Lisi Gräf (Wien, E-Mail: lisi [AT] diekeulquappen . at), Beruf nach eigener Angabe: u. a. "Keulquappe", was sowohl auf ihr bevorzugtes Jonglier-, Passing- und Swinging-Requisit hinweist als auch auf ihre Arbeit als Artistin im Duo Die Keulquappen. Wie sich aus obigem Artikel unschwer erraten lässt, ist dieses Duo nicht nur auf der Bühne ein solches.
Markus Hoffmann (Wien) ist auf vielen Gebieten zu Hause: Er jongliert, zeichnet, schreibt und ist derzeit vor allem mit einer Theatertruppe (Theater Bahö!) unterwegs. Zuvor Mitglied der Jonglierensembles "Staunzeit" und "Die Pyromantiker".
Weitere Beiträge auf den Webseiten von jonglieren.at: siehe: Index: Gräf, Lisi bzw. Index: Hoffmann, Markus

Alle Rechte verbleiben bei Autorin bzw. Grafiker. Veröffentlicht mit deren Einverständnis und mit freundlicher Genehmigung von Artis-Tick. April 2002.